Die Prantlisierung des Abendlands

Bildschirmfoto 2015-10-16 um 15.41.36Politiker wie Angela Merkel und Sigmar Gabriel müssen derzeit viel erdulden: Sie werden als Volksverräter beschimpft, zum Abschuss freigegeben oder haben die Wahl, entweder gehängt (Pegida) oder guillotiniert (Stop TTIP) zu werden – alles unter den Blicken einer feist grinsenden Öffentlichkeit, die offensichtlich jedes Maß verloren hat und laut krakeelend die Lynchjustiz einfordert. Direkte Demokratie in Deutschland hat auch immer einen unverkennbaren Hautgout von Blutgerichten ohne den revolutionären Witz der Sansculotten. Der deutsche Kleinbürger mag’s gern billig und trivial.

Früher war ein Vorzug der schweigenden Mehrheit, dass sie die Fresse hielt. Heute kann jede Dumpfbacke behaupten, dass entweder Asylbewerber oder Chlorhühnchen das Abendland bedrohen – ohne je artikuliert zu haben, worin der eigene Beitrag für das Abendland besteht, außer in unvollkommenem Deutsch Parolen auf die Tötungsinstrumente zu malen: „Pass! blos auf Sigmar“. Merkwürdig ist daran jedoch, dass viele Journalisten der über vier Meter hohen und damit kaum zu übersehenden Guillotine der dumpf nationalistischen Anti-TTIP-Propagandisten keinen Nachrichtenwert zusprachen, während sie sich über das dünne Lattengerüst der Pegida-Dümmlinge das Maul zerrissen. Der notorisch wütende, aber selten objektive Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung bezeichnete das Fallbeil der Linken zwar als „intolerabel“, das man strafrechtlich verfolgen müsse, hielt es aber dennoch für unvergleichbar mit dem Pegida-Galgen, der in seiner „Alltäglichkeit“ und „Bösartigkeit“ die „Primitivierung des Abendlands“ einleiten würde.

Nun könnte man sagen, dass eine Primitivierung des Abendlands immer noch besser sei als eine Prantlisierung, die sich vor allem durch linksbohèmianhafte Geschwätzigkeit, ehernes Kolumnisten-Pathos und gönnerhafte Herablassung auszeichnet – etwa in den schmierlappigen Allerweltsfloskeln von Prantl: „Eine starke Gesellschaft zeigt sich auch darin, dass sie sich nicht alles gefallen lässt.“ Gefolgt von einem unumstößlichen: „Und ein Staat ist dann stark, wenn er die Schwachen schützt.“ – wenn da nicht eine gewisse Zunahme der gedanklichen Mordbereitschaft auf rechter wie auf linker Seite zu beobachten ist. Christoph Schlingensief hatte auf der Documenta X 1996 sein environales Happening „Tötet Helmut Kohl“ gezeigt – eine Art Lagerkoller, in dem herumrumorende Freaks ihr Überleben praktizieren und dabei Tötungsphantasien ausstoßen. Doch das war Kunst und hatte einen heiligen Sinn. Schlingensief: „Wenn ich sage „Tötet Helmut Kohl“, bewahre ich ihn davor, weil ich das Bild ausspreche. Bei meiner Festnahme in Kassel haben ein paar Zuschauer gerufen „Tötet Christoph Schlingensief!“ Das fand ich gut, damit haben sie mich bewahrt.“

Was nach Schlingensief kam, war nur noch Stumpfsinn und so beliebig reproduzierbar wie ein Kill-Capitalism-T-Shirt. Da forderte der AfD-Vorstand Salzwedel René Augusti die Erschießung von deutschen Fluchthelfern. Da posieren Jusos mit Politikern feixend in T-Shirts, die im My Lai-Stil die Exekution eines Aktentaschen-Trägers zeigen. Das „Zentrum für Politische Schönheit“ warb – irgendwie sinnlos – für „Tötet Roger Köppel“, den rechtskonservativen Chef der Schweizer Weltwoche. Doch das hatte mit dem zu Unrecht als Provokateur bezeichneten Schlingensief und seiner Art zu arbeiten wenig zu tun: „Das Bild ist nur eine Vorstellung. Was nicht heißt, dass ich es einlösen muss, sondern nur, dass es in diese Richtung laufen könnte. Das Ganze muss immer die Möglichkeit haben, sich selbst zu zerstören. Nicht ich zerstöre das Bild; es zerstört sich selbst im Kopf des Betrachters.“

Dennoch oder gerade deshalb sollte man die Sache nicht zu hoch hängen, um beim Galgenbild zu bleiben: Der gedankliche (Tyrannen-)Mord ist zwar im Zuge der allgemeinen Nivellierung und Verflachung politischer Ausdrucksformen von der Bühne auf die Straße gewandert – jeder ist ein kleiner Schlingensief und darf das Unsagbare sagen – das heißt aber noch lange nicht, dass jetzt die Staatsanwaltschaft auf den Plan treten muss. Merkel, die man gerade jetzt in der allgemeinen Hysterie für und gegen Flüchtlinge als bewundernswert gefasst und abgeklärt bezeichnen muss – Häuptling „Ruhige Hand“ – hat sich überhaupt nicht dazu geäußert, weder zu den Galgen noch zu den Prantl-Primitivismen. Und das ist vermutlich das Beste, was man tun kann.

Eigenbedarfskündigung zur Unterbringung von Flüchtlingen?

Flüchtlinge_Wohnung_Eigenbedarf_KündigungDie Entscheidung eines Bürgermeisters in der Nordrhein-Westfälischen Kleinstadt Nieheim sorgt für Aufregen. Insbesondere der Fall einer 51-Jährigen Mieterin. Sie erhielt von der Stadt eine Kündigung wegen „Eigenbedarf“. Ihre seit 16 Jahren angemietete Wohnung würde für die Unterbringung von Flüchtlingen benötigt werden. Es stellt sich nunmehr nicht nur die Frage, ob eine Stadt wegen Eigenbedarf kündigen darf, sondern auch, welche Debatte dadurch ausgelöst werden könnte. Obwohl das Ganze vielleicht doch weniger eine juristische als eine moralische Frage ist, soll zunächst auf den rechtlichen Hintergrund eingegangen werden.

Unter einer Kündigung wegen Eigenbedarf wird im Allgemeinen die Kündigung nach § 573 Abs.2 Nr.2 BGB verstanden. Danach kann der Vermieter eine Wohnung kündigen, wenn er die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Klar ist, dass diese Kündigungsgründe im beschriebenen Fall einer Gemeinde nicht eingreifen können. Die Gemeinde ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit eine juristische Person. Sie kann unmöglich einen Eigenbedarf für Familienangehörige geltend machen. Die geführte Diskussion um einen „Eigenbedarf„ der Stadt geht deshalb aus juristischer Sicht schon in die falsche Richtung.

Für juristische Personen ist es tatsächlich möglich im Rahmen des § 573 BGB eine Kündigung wegen Betriebs- oder Berufsbedarf auszusprechen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Wohnung für einen Arbeitnehmer verwendet werden soll. Eine Kündigung der Betriebswohnung kann gegenüber einem aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmer ausgesprochen werden. Erst Recht ist bei Vorliegen eines Betriebsbedarfs die Kündigung gegenüber einer betriebsfremden Person möglich. Einleuchtend erscheint, dass auch diese Konstellation im Fall der durch die Stadt ausgesprochenen Kündigung nicht vorliegt. Bei den Flüchtlingen bzw. Asylbewerbern handelt es sich nicht um Betriebsangehörige der Stadt für die das Wohnen in dieser Wohnung von unternehmerischer Bedeutung ist.

Die dargestellte Eigenbedarfskündigung stellt allerdings nur eine Variante der möglichen Kündigungsgründe nach § 573 BGB dar. Das Gesetz erlaubt dem Vermieter eine Kündigung generell, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Eigenbedarfskündigung ist lediglich ein exemplarisches Beispiel für das erforderliche berechtigte Interesse. Ein Vermieter kann auch aus anderen Gründen kündigen, wenn diese ein berechtigtes Interesse des Vermieters darstellen. Wegen der sozialen Bedeutung der Wohnung für den Mieter als Lebensmittelpunkt ist aber ein Interesse von einigem Gewicht notwendig. Jeder andere Kündigungsgrund muss deshalb gleich schwer wiegen, wie die im Gesetz genannten.

Ein bereits seit Jahren anerkannter Grund ist der öffentliche Bedarf oder das öffentliche Interesse. Dazu gehört bei einer Gemeinde das Benötigen von Wohnraum zur Erfüllung wichtiger öffentlichen Aufgaben, und hierunter fällt auch die Unterbringung von Asylbewerbern. Die Gemeinden in Deutschland sind verpflichtet für die Unterbringung der Flüchtlinge zu sorgen. Wegen der besonderen Bedeutung der Wohnung als Lebensmittelpunkt, muss die Bedeutung der öffentlichen Aufgabe von einigem Gewicht sein. Kann im beschriebenen Fall eine Abwägung zu Gunsten der Gemeinde ausfallen?

Die 51-Jährige Mieterin bewohnt die Wohnung der Gemeinde seit 16 Jahren. Im Haus sind bereits mehrere Flüchtlingsfamilien untergekommen. Laut eigenen Angaben in den Medien verstehe sie sich gut mit ihren neuen Nachbarn. Sie habe ihnen einen Fernseher gegeben und sitze öfter mit ihnen zusammen. Ist das nicht exakt der von Politikern und anderen Optimisten erhoffte Umgang mit den Neuankömmlingen? Welch paradoxes Zeichen wird durch die Politik gesetzt, wenn alteingesessene gegen neu angekommene getauscht werden?

Die Mieterin hat zumindest die Möglichkeit einen Widerspruch gegen die Kündigung einzulegen. Begründet werden kann dieser etwa mit einer unzumutbaren Härte. An einer gerichtlichen und damit finanziell belastenden Auseinandersetzung führt dann aber meist kein Weg vorbei. Wie die Gerichte entscheiden werden, kann auch anhand ergangener Entscheidungen nicht prognostiziert werden. Das ist und bleibt eine Abwägungsfrage im Einzelfall. Kündigungen aufgrund eines wichtigen öffentlichen Interesses, wurden in der Vergangenheit bereits zur Schaffung von Obdachlosenunterkünften und auch zur Schaffung von Unterkünften für Aussiedler und Asylbewerber anerkannt.

Rechtspopulisten nutzen dieses Thema bereits um Stimmung gegen Asylbewerber zu verbreiten. Sie verfassen Kündigungen, in denen den Mietern mitgeteilt wird ihre Wohnung würde für Asylbewerber gebraucht werden. Bei Zweifeln ist es für Mieter deshalb wichtig sich zunächst zu erkundigen und sicher zu stellen, dass es sich tatsächlich um eine Kündigung durch den Vermieter handelt.