Wie war das noch mal mit TTIP? Die strengen Umweltauflagen, die bei uns in Deutschland herrschen, werden zugunsten eines brutalen, auf Vernichtung der Natur programmierten Raubtierkapitalismus aus den USA ausgehebelt. Seit Monaten hämmern uns diese Botschaft Greenpeace, Attac, BUND und andere Umweltverbände und Initiativen ein, assistiert von den üblichen Hysterikern aus Linke, Grünen und SPD. Kein apokalyptisches Szenario, ausgemalt mit Horrorbildern von Chlorhühnchen und Genkartoffeln, ist grotesk genug, um die Verbraucher auf den Untergang des Abendlandes einzustimmen, das spätestens dann droht, wenn das Freihandelsabkommen mit dem sperrigen Namen „Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen“ (TTIP) in Kraft tritt. Vollkommen egal, ob Experten inzwischen nachgewiesen haben, dass Chlor sehr viel effektiver Salmonellen abtötet als andere Verfahren und die industrielle Tierzucht in Deutschland keinen Deut besser als in den USA ist – im Gegenteil: Die meisten Fleischskandale kamen aus Deutschland.
Jetzt gibt es ein weiteres Beispiel für die verzerrte Optik der Umweltschützer auf den transatlantischen Freihandel. Der deutsche Automobil-Konzern VW muss 500.000 Diesel-Fahrzeuge, etwa den Jetta TDI Diesel, zurückrufen, weil diese nicht die deutlich schärferen Abgasnormen der USA erfüllen. Dass sie überhaupt auf dem amerikanischen Markt verkauft werden konnten, lag an einer dreisten Manipulation der in den USA nicht gerade beliebten Diesel-Motoren. Ein trickreiches Programm in der Auto-Elektronik sorgte dafür, dass die Abgasbegrenzung immer nur dann eingeschaltet war, wenn eine Kontrolle drohte. Im normalen Fahren war sie ausgeschaltet. Andernfalls wäre der Spritverbrauch deutlich höher ausgefallen. Ein klarer Fall von Betrug, der von der US-Umweltbehörde EPA mit Strafzahlungen bis zu 37.500 Dollar pro Fahrzeug geahndet werden kann – macht bei 482.000 betroffenen Autos ca. 18 Milliarden. Gefängnisstrafen für verantwortliche Mitarbeiter nicht ausgeschlossen. Die VW-Aktie rast in den Keller. Angst vor den Umweltsündern aus den USA? VW beweist, dass es auch umgekehrt geht – und ohne TTIP.
Ein Desaster ohnegleichen, das VW-Chef Winterkorn den Kopf kosten könnte. Selbst die von manchen sofort vermutete Abstrafung der unliebsamen deutschen Konkurrenz ist wenig plausibel. Gerade erst musste der amerikanische Autobauer General Motors knapp eine Milliarde Dollar zahlen, weil seine Zündschlösser die Angewohnheit hatten, bei Rüttlern in die Aus-Position zu rutschen – mit fatalen Folgen für die Insassen. GM-Chefin Mary Barra musste sich einem peinlichen Verhör durch den Kongress unterziehen.
Jetzt lernen auch deutsche Autobauer, dass mit der US-Justiz nicht zu spaßen ist. Und noch ist unklar, ob nicht auch in hiesigen VW-Dieseln solche Lügenprogramme installiert sind.
Für die TTIP-Debatte bedeutet das folgendes:
- Die amerikanischen Standards sind oft höher als hierzulande. Zur Hysterie gibt es keinen Grund. Man sollte eher dankbar sein, dass man in den USA auch etwas von Umwelt versteht. Hiesige Aktivisten sollten sich mit einem Programm vertraut machen, das in vielen Ausgestaltungen deutschen Pendants überlegen ist: das Gesetz Clean Air Act, das auf breiter Ebene CO2-Emissionen vermindern soll.
- Das Strafmaß für Verfehlungen ist ebenfalls deutlich höher als in Deutschland. Kaum vorstellbar, dass einer der hiesigen „Autominister“ mehr als nur ein Stirnrunzeln übrig hätte, wenn gleiches in Deutschland passieren würde. VW ist wie die anderen Autokonzerne sakrosankt. Auch dieser postfeudale und unkritische Kniefall vor dem Rückgrat der deutschen Industrie wäre bei konsequenter Umsetzung von TTIP passé.
Bei vielen Aktivisten scheint daher auch weniger die Sorge um die deutsche Umwelt der Antrieb für ihre fanatische Bekämpfung des Freihandelsabkommens zu sein. Ihnen geht es viel mehr um die Bedienung antiamerikanischer Ressentiments in der deutschen Bevölkerung, um einen naiven Anti-Kapitalismus sowie eine völkisch angehauchte Schollenromantik. Warum protestiert dann keiner von ihnen, wenn der deutsche Wirtschaftsminister Siegmar Gabriel, der „Verständnis für die TTIP-Skeptiker“ äußert, nur kurz nach der Einigung im Atomstreit nach Teheran reist, um dort mit den massenmordenden Mullahs Verträge für die deutsche Nuklearindustrie einzutüten?
Umweltverschmutzung, Strahlenbelastung, Krieg und Menschenrechtsverletzungen in massenhaftem Ausmaß – das interessiert eine deutsche Mutti im selbstgehäkelten Strickpulli nicht, wenn sie auf dem Öko-Markt ihre Pamphlete gegen TTIP verteilt. Der Iran ist weit weg!